Leben mit Mastozytose ein Artikel vom Kölner Stadtanzeiger vom 14.12.2021
Wenn Nicole Hegmann das Haus verlässt, hat sie ihr Notfallset immer dabei. Jederzeit kann ein für andere Menschen harmloser Auslöser, etwa ein Insektenstich, ein Putzmittel oder auch einfach nur eine stressige Situation bei ihr eine schwere allergische Reaktion, einen anaphylaktischen Schock auslösen. Und das bedeutet Lebensgefahr. Dieses Risiko, mit dem sie täglich lebt, ist Teil einer Erkrankung, die bei ihr 2017 diagnostiziert wurde: Mastozytose, eine seltene und weitgehend unbekannte Krankheit – selbst unter Medizinern.
Nur 500 bis 600 Menschen mit gesicherter Diagnose leiden in Deutschland an ihr; und das Krankheitsbild kann so verschieden sein, dass Mediziner oft jahrelang rätseln. Ein „Ärztemarathon“ auch bei ihr, sagt Nicole Hegmann. 14 Jahre dauerte es, bis sie endlich schwarz auf weiß hatte, was sie schon lange ahnte: Ihre vielfältigen Beschwerden, ihre Schmerzen, die sie immer stärker im Alltag einschränkten, waren Symptome eine schweren und bei Erwachsenen unheilbaren Krankheit. Neben dem „Schock über die vernichtende Diagnose“ fast eine Erleichterung, „weil ich endlich aus der Hypochonder-Sichtweise heraus war“, sagt sie rückblickend.
Da konnte sie schon lange ihren Beruf als Bürokauffrau nicht mehr ausüben, heute hat die 50-Jährige Pflegestufe 4. „An manchen Tagen sind die Schmerzen in Gelenken und Knochen so schlimm, dass ich Hände und Füße kaum bewegen kann, nur mit Mühe die Treppe raufkomme. Heute morgen hat der Magen rebelliert und ich musste mich erbrechen, an anderen Tagen ist es besser. Aber es ist nie planbar.“
Angefangen hatte alles ganz harmlos 2003, kurz nach der Geburt ihrer Zwillinge: „Ich hatte so unangenehm heiße Hände, habe es aber auf die Geburt geschoben.“ Dann kamen Magen-Darmprobleme und ein ständiger Husten dazu; 2010 brach sie sich eine Rippe, ohne gestürzt zu sein. „Zwei Jahre später brach die nächste Rippe, nur weil ich niesen musste.“ Blasen- und Nierenprobleme stellten sich ein. Klinikaufenthalte folgten.
Die „Krankheit mit den vielen Gesichtern“ (siehe Infokasten) ließ die Mediziner lange ratlos zurück. „Man braucht Ärzte, die bereit sind, über den Tellerrand zu schauen“, sagt Nicole Hegmann. Ärzte, die auch mal die eingetretenen Pfade verließen und bei unklarem Bild an seltene Erkrankungen dächten.
Um die Krankheit aus ihrer Nische herauszuholen, hat Nicole Hegmann das „Mastozytose Selbsthilfe Netzwerk“ gegründet, dessen Vorsitzende sie auch ist. Die Organisation, die sich als Symbol eine lila Schleife gegeben hat, nach der Farbe, mit der bei den Untersuchungen die Zellen eingefärbt werden, will Anlaufstelle für Betroffene sein. Ein Netzwerk der Hilfe und der Information für Patienten, Angehörige, aber auch Mediziner. „Ich bin häufig auf größeren medizinischen Veranstaltungen, um diese Krankheit bekannt zu machen, sie ins Bewusstsein zu holen.“ Man helfe Betroffenen medizinische Kompetenzzentren zu finden, unterstütze beim Schriftwechsel mit Versorgungsämtern oder dem Medizinischen Dienst. „Die Selbsthilfe habe ich aus der Not heraus gegründet, sagt die trotz ihrer Krankheit energische Eikamperin. Denn Angst, nein Angst lasse sie nicht zu.